Es ist normal, verschieden zu sein!
(Richard von Weizsäcker)

Handicaps

Glücklicherweise überstehen die meisten ehemals zu früh geborenen Kinder den vorzeitigen Start ins Leben ohne Beeinträchtigungen für ihr weiteres Leben. Doch es gibt auch Kinder, die mittel- oder langfristig von körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen betroffen sind. Auch wenn extrem unreife Frühgeborene ein hohes Entwicklungsrisiko haben, so heißt das nicht unbedingt, dass sie in ihrer weiteren Entwicklung von dauerhaften Problemen beeinträchtigt sein müssen. Genauso gibt es moderate, späte oder reif geborene Kinder, bei denen sich im weiteren Entwicklungsverlauf Probleme zeigen, auch wenn sie vergleichsweise bessere Anfangsprognosen haben. 

Möglicherweise auftretende Probleme 

Folgende Auffälligkeiten können sich vor allem bei anfangs sehr unreif geborenen Kindern zeigen: 

Bronchopulmonale Dysplasie

Die Bronchopulmonale Dysplasie ist eine chronische Lungenerkrankung. Sie tritt bei Neugeborenen auf, die anfangs über einen längeren Zeitraum beatmet werden mussten. Unter der Beatmung kommt es zu Veränderungen in der Lunge, die den Gasaustausch erschweren. Die schwer betroffenen Kinder sind in der Folge anfälliger für Atemwegsinfekte. Auch das Risiko für die Entwicklung von Asthma ist erhöht. 

Definitionsgemäß erfordert die Diagnose eine Sauerstoffgabe von mehr als 21 Prozent für einen Zeitraum von mindestens 28 Tagen. Die Einteilung der Schweregrade bemisst sich am Bedarf zum Zeitpunkt eines korrigierten Alters von 36 Schwangerschaftswochen. Man unterscheidet:

  • milde (mit 36 SSW kein erhöhter Sauerstoffbedarf mehr)
  • moderate (weniger als 30 % Sauerstoff in der Einatemluft notwendig)
  • schwere Form (mehr als 30 % und/oder Beatmung bzw. Atemunterstützung durch CPAP notwendig)

 

Fehlsichtigkeit

Frühgeborene sind vergleichsweise häufiger von anatomischen und funktionellen Problemen der Augen betroffen als Reifgeborene. Daher sollten auch Kinder, die nicht von einer Frühgeborenen-Retinopathie betroffen sind, regelmäßig vom Augenarzt nachuntersucht werden, wenn sie vor 31 + 0 Schwangerschaftswochen geboren wurden oder mit weniger als 1.500 Gramm Geburtsgewicht zur Welt kamen. Gleiches gilt für Frühgeborene mit einem Gestationsalter zwischen 31 + 0 und 36 + 6 Schwangerschaftswochen, wenn eine diagnostizierte Retinopathie vorliegt oder eine erlittene Hirnblutung und/oder zystische periventrikuläre Leukomalazie festgestellt wurde.

Empfohlen werden Nachuntersuchungen in den folgenden Abständen:

  • im Alter von 6 Monaten in Abhängigkeit von Befunden und Risikofaktoren
  • im Alter von 12 Monaten 
  • halbjährlich im zweiten Lebensjahr
  • jährlich ab dem dritten bis zum sechsten Lebensjahr
  • nach dem sechsten Lebensjahr bei nachweisbaren Augenveränderungen

Frühgeborenen-Retinopathie

Die Frühgeborenen-Retinopathie (ROP) entsteht durch eine gestörte Entwicklung der Netzhautgefäße in Folge der Frühgeburt. In den letzten Wochen vor dem errechneten Geburtstermin findet die Ausbildung der Netzhautgefäße statt.

Dieser Vorgang wird durch die vorzeitige Geburt und die damit mitunter notwendige Sauerstofftherapie gestört. Der daraus folgende Sauerstoffmangel verursacht eine unkontrollierte Wucherung von krankhaften Gefäßen an der Netzhaut, die in den Glaskörper übertreten und so eine zunehmende Ablösung der Netzhaut hervorrufen können.

Diese Erkrankung kann unbehandelt zur Erblindung führen, wenn man die Veränderungen nicht rechtzeitig erkennt und frühzeitig behandelt. Deshalb sind bei sehr unreifen Frühgeborenen systematische Screening-Untersuchungen erforderlich.

Nach jüngsten Leitlinienempfehlungen sollen Frühgeborene, die vor 31+0 Schwangerschafswochen geboren wurden, engmaschig untersucht werden. Therapeutische Maßnahmen sind erst notwendig, wenn das Stadium der Krankheit stark ausgeprägt ist. Dann kann mittels einer Lasertherapie behandelt werden. Alternativ steht eine Spritzenbehandlung im betroffenen Auge zur Wahl. Das auf diese Weise verabreichte Medikament hemmt ein unerwünschtes Wachstum der fehlgeleiteten Gefäße im Auge.

Behandelte Kinder sollten auch langfristig regelmäßig vom Augenarzt nachuntersucht werden.

Entwicklungsverzögerung

Eine Entwicklungsverzögerung  ist definiert als eine signifikante Verzögerung in zwei oder mehr der folgenden Bereiche:

  • Sprache
  • Intellekt
  • Antrieb und Sozialverhalten
  • Grob- und Feinmotorik

Im Gegensatz zu einer Entwicklungsstörung, die dauerhafte Einschränkungen bezeichnet, wird unter einer Entwicklungsverzögerung ein aufholbarer Entwicklungsrückstand verstanden. 

Infantile Zerebralparese

Die Infantile Zerebralparese (ICP)  ist eine Folge von Komplikationen während der Schwangerschaft, unter der Geburt oder von schweren Infektionskrankheiten im Säuglingsalter, die zu einer Hirnschädigung führen. Die betroffenen Kinder entwickeln eine bleibende, aber nicht unveränderliche Störung der Motorik mit unterschiedlicher Ausprägung der Symptome. Oft treten begleitend Lernstörung, Sehstörung oder auch Epilepsie auf.

Man unterscheidet Bewegungsstörungen die den gesamten Körper (Tetraparese), eine Körperhälfte (Hemiparese) oder nur einen Körperteil (Diparese) betreffen können:

  • spastische Syndrome (starke Verkrampfungen, unwillkürliche Bewegungen, Lähmungserscheinungen bis hin zu Bewegungsunfähigkeit aufgrund erhöhter Muskelspannung)
  • dyskinetische Syndrome (unwillkürliche und unkontrollierte Bewegungen infolge von abwechselndem Anspannen und Entspannen der Muskeln)
  • kongenitale Ataxie-Syndrome (Mangel an grobmotorischen Fähigkeiten, gezielte Bewegungen können nicht ausgeführt werden)
  • Hypotonie-Syndrome (verminderte Muskelspannung, die zu epileptischen Anfällen, Sehnen- und Muskelverkürzungen sowie Verformungen von Knochen und Gelenken führen kann)

60 Prozent der Kinder mit Zerebralparese sind Frühgeborene. Je früher ein Kind auf die Welt kommt, umso höher ist das Risiko für eine Schädigung des Gehirns. Erfreulicherweise sinkt die Rate für infantile Zerebralparese bei Frühgeborenen seit 20 Jahren kontinuierlich. 

Periventrikuläre Leukomalazie

Als periventrikuläre Leukomalazie bezeichnet man eine Schädigung der weißen Substanz im Gehirn von Neugeborenen. Sie entsteht durch eine verminderte Durchblutung des Gehirns. Ursächlich kann eine vorgeburtliche Infektion, aber auch eine nachgeburtliche Sepsis sein. Bei den Kindern mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 Gramm sind ca. 5-15 Prozent betroffen. Die Symptome treten meist mehrere Monate nach der Schädigung der Nervenzellen auf.

Sie können von Kind zu Kind sehr unterschiedlich sein:

  • Das häufigste Symptom ist eine Form der infantilen Zerebralparese, die durch angespannte Muskeln insbesondere in den Beinen gekennzeichnet ist.
  • Auch Sehschwäche und Bewegungsstörung der Augen können auftreten.
  • Zudem kann es zur Verzögerung der geistigen Entwicklung kommen.

Wie stark die Symptome ausgeprägt sind, hängt vom Ausmaß der Schädigung ab. Manche Kinder haben lediglich minimale Einschränkungen. Andere wiederum sind schwer betroffen, weil die Erkrankung mit einer ausgeprägten spastischen Bewegungsstörung und Entwicklungsverzögerung einhergeht.

Häusliche Kinderkrankenpflege

Bei anfangs sehr unreif geborenen Kindern kann die Unterstützung durch häusliche Kinderkrankenpflege auch nach der Entlassung aus der Klinik notwendig sein, beispielsweise wenn

  • das Baby mit Sauerstoff versorgt und regelmäßig abgesaugt werden muss
  • das Baby stomaversorgt ist
  • eine Versorgung über die Magensonde notwendig ist 

Mit dem Einsatz der häuslichen Kinderkrankenpflege soll ein Krankenhausaufenthalt vermieden bzw. verkürzt werden. Sie umfasst die Grund- und Behandlungspflege. Unter Behandlungspflege zählt die medizinische Versorgung des Kindes, z. B. Absaugen, Sonde legen, Sondieren, Inhalieren, Verbände wechseln, medizinische Bäder und weiteren Anleitungen. Zur Grundpflege gehört das Waschen, Füttern oder Anziehen. Grundpflege wird von der Krankenkasse nur dann bezahlt, wenn gleichzeitig Behandlungspflege notwendig ist.

Die Genehmigung und Finanzierung erfolgt durch die Krankenkasse und beschränkt sich üblicherweise zunächst auf vier Wochen. Sie kann aber in begründeten Fällen auch für einen längeren Zeitraum bewilligt werden. 

Hilfreiche Therapien

Krankengymnastik, Ergotherapie, Mototherapie, Logopädie sind hilfreiche Therapieformen, die Kindern mit entsprechenden Auffälligkeiten im motorischen und kognitiven Bereich helfen, eventuell vorhandene Entwicklungsrückstände aufzuholen.

Ein Rezept stellt der behandelnde Kinderarzt aus, wenn er die Therapie als notwendig erachtet. Auch Sozialpädiatrische Zentren können entsprechende Therapien verordnen. Die Kosten dafür übernimmt in der Regel die Krankenkasse. Bei Unsicherheiten bezüglich der Kostenübernahme lohnt sich vorab ein informatives Gespräch mit der Krankenkasse.

Tiergestützte Therapien werden bisher nicht regelhaft von der Krankenkasse erstattet. Hier kann eventuell über die Eingliederungshilfe beim Sozialamt eine Kostenübernahme oder ein Zuschuss bewilligt werden.

Hier finden Sie weitere Infos zu Konzepten und Methoden in Ergo- und Physiotherapie sowie Psychomotorik

Pflegegrad beantragen

Auch vor der Beanspruchung eines Pflegegrades sollten sich Eltern von ehemals zu früh geborenen Kindern mit Handicaps nicht scheuen, denn der Mehraufwand der mitunter im Rahmen der Versorgung entsteht, ist nicht zu unterschätzen. Der Mehraufwand bemisst sich im Vergleich zu unbeeinträchtigten „Altersgenossen“. Betroffenen Familien steht dann gegebenenfalls Pflegegeld zu. Dieses kann bei der Pflegekasse der Krankenkasse des Kindes beantragt werden. Je nach Pflegebedürftigkeit kann sich der Betrag auf bis zu mehrere hundert Euro pro Monat belaufen.

Schwerbehindertenausweis

Bei manchen Kindern liegt im Sinne des Gesetzes eine (Schwer‐)Behinderung vor. Auch hier gilt der Vergleich des Kindes zu den „Fähigkeiten“ der entsprechenden „Altersgenossen“. Mit einem (Schwer‐)Behindertenausweis haben Sie Steuervorteile und kommen in den Genuss von Ermäßigungstarifen oder bevorzugten Behandlungen. Damit sollen Nachteile der betroffenen Menschen im Alltag ausgeglichen werden. Informationen und Anträge erhalten Sie beim Versorgungsamt.

Interessenvertretung wir pflegen

wir pflegen steht für die Interessen und Rechte pflegender Angehöriger und Freunde ein, auf Bundes-, Länder- und Regionalebene und führt unterschiedliche Organisationen und Initiativen zusammen.

Zu den Zielen gehört unter anderem, bestehenden lokalen und regionalen Initiativen mehr politisches Gewicht zu verleihen, pflegenden und begleitenden Angehörigen zu mehr Wertschätzung und Mitspracherecht zu verhelfen sowie vorhandene Angebote bekannter zu machen.

Mit einer Expertengruppe pflegender Eltern hat der Bundesverband wir pflegen e.V. Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet. Denn Familien, die ein Kind mit Behinderung oder chronischer Krankheit pflegen, sind in vielerlei Hinsicht unsichtbar. Sie werden weder in der Familien- noch Pflegepolitik ausreichend berücksichtigt. Auch Kinder mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen haben ein Recht auf Teilhabe und Bildung. Ihre Eltern brauchen mehr Anerkennung und Unterstützung. Sie müssen in den Blick genommen und als gleichberechtigte Partner in der Pflege wahrgenommen werden. 

Mit der begleitenden Kampagne "Pflegende Eltern – Raus aus der Unsichtbarkeit" sollen Bedarfe, Herausforderungen, Wünsche und Forderungen pflegender Eltern sichtbar gemacht werden.