Frühgeborene in der Pubertät

Wenn die Gefühle Achterbahn fahren 

Die Pubertät ist für alle Jugendlichen eine Zeit des Wandels – körperlich, emotional und sozial. Für ehemalige Frühgeborene und ihre Familien kann diese Lebensphase jedoch mit besonderen Herausforderungen verbunden sein. Manche Frühgeborene entwickeln sich in diesem Abschnitt ähnlich wie Gleichaltrige, andere erleben Unterschiede etwa im Wachstum, in der körperlichen Reife oder im sozialen Miteinander. Gleichzeitig ist die Pubertät eine wertvolle Gelegenheit, die eigenen Stärken zu entdecken und Selbstvertrauen zu entwickeln. Unser Ziel ist es, Familien in dieser Zeit zu begleiten, Wissen zu vermitteln und Raum für Austausch zu schaffen.

Psychosoziale Herausforderungen

Die Pubertät ist für alle Jugendlichen eine Zeit tiefgreifender Veränderungen. Für frühgeborene Jugendliche können in dieser Lebensphase jedoch besondere Herausforderungen im Umgang mit anderen Menschen und mit sich selbst entstehen. Unterschiede im Entwicklungsverlauf, ein empfindlicheres Selbstwertgefühl oder das Empfinden, „anders“ zu sein, können die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und der Position in der Gleichaltrigengruppe prägen. Auch schulischer Leistungsdruck, familiäre Wechselwirkungen und die Verarbeitung der eigenen Frühgeburtsgeschichte sind dabei bedeutsam.

Körperbild & Selbstwahrnehmung

  • Kleinere Körpergröße oder verzögerte körperliche Entwicklung kann zu Unsicherheit führen, besonders im Vergleich mit gleichaltrigen Mitschüler:innen.
  • Narben oder körperliche Besonderheiten aus der Frühgeborenenzeit können Scham oder Vermeidungsverhalten auslösen.
  • Gefahr von negativen Selbstvergleichen in Social Media oder im Sportunterricht.

Soziale Integration & Peer-Beziehungen

  • Späteres soziales Reifealter: Manche frühgeborene Jugendliche wirken emotional oder im Verhalten jünger als Gleichaltrige.
  • Gefahr von Ausgrenzung oder Mobbing, wenn Unterschiede auffallen.
  • Schwierigkeiten beim Knüpfen oder Halten enger Freundschaften, besonders in Übergangsphasen (z. B. Schulwechsel).

Emotionale Entwicklung

  • Höhere Sensibilität für Stress, Kritik oder Ablehnung.
  • Häufigeres Erleben von Ängsten oder Unsicherheiten – z. B. Leistungsangst in Schule oder Sport.
  • Stimmungsschwankungen können ausgeprägter sein, wenn Selbstwertgefühl instabil ist.

Lern- und Leistungsdruck

  • Frühgeborene Jugendliche haben im Schnitt ein leicht erhöhtes Risiko für Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- oder Verarbeitungsschwierigkeiten.
  • In der Pubertät steigt der schulische Leistungsdruck – das kann zu Frustration oder Rückzug führen, wenn keine passende Unterstützung vorhanden ist.

Familien- und Rollenbeziehungen

  • Eltern neigen manchmal zu Überbehütung – aus Sorge um Gesundheit oder Zukunft.
  • Jugendliche wollen jedoch mehr Eigenständigkeit – es kann zu Konflikten kommen, wenn Eltern nicht loslassen können.
  • Umgekehrt: Manche Jugendliche übernehmen früh Verantwortung (z. B. jüngere Geschwister) und fühlen sich überfordert.

Identitätsbildung

  • Frühgeborene Jugendliche setzen sich häufiger mit ihrer Herkunftsgeschichte auseinander („Warum bin ich so klein? Warum hatte ich Startschwierigkeiten?“).
  • Gefahr, sich dauerhaft über die Frühgeburt zu definieren – oder sie völlig verdrängen und nicht thematisieren wollen.
  • Positive Integration der eigenen Biografie ist wichtig für stabiles Selbstwertgefühl.

Gesundheit & psychosoziale Belastung

  • Häufigere Arzttermine oder Therapien können das Gefühl verstärken, „anders“ zu sein.
  • Langfristige gesundheitliche Einschränkungen (z. B. Atemwegserkrankungen) können Teilhabe an Aktivitäten erschweren.
  • Sorge um die eigene Zukunft (Beruf, Partnerschaft, Selbstständigkeit).

Fazit:
Nicht jeder frühgeborene Jugendliche erlebt diese Herausforderungen, aber die Wahrscheinlichkeit ist höher als bei Reifgeborenen. Frühzeitige Aufklärung, Elternunterstützung, Peer-Kontakte und professionelle Begleitung (Schulsozialarbeit, Psychologie) können helfen, diese Phase positiv zu gestalten.

Emotionale Entwicklung

Die emotionale Entwicklung in der Pubertät ist ein komplexer Prozess, in dem Jugendliche lernen, ihre Gefühle zu verstehen, zu regulieren und in Beziehungen einzubringen. Frühgeborene Jugendliche bringen dabei oft besondere Erfahrungen und Voraussetzungen mit – etwa eine erhöhte Sensibilität oder unterschiedliche Reaktionen auf Stress. Diese können ihre emotionale Reifung beeinflussen, ohne sie zwangsläufig zu bremsen. Mit Verständnis, geduldiger Begleitung und passenden Unterstützungsangeboten können sie in dieser Lebensphase wichtige emotionale Kompetenzen aufbauen und festigen.

Tipps zur Förderung des Selbstbewusstseins 

Jugendliche, die zu früh geboren wurden, können ihr Selbstbewusstsein aufbauen, indem sie sowohl innere Stärken entwickeln als auch unterstützende äußere Rahmenbedingungen nutzen. Wichtig ist dabei: Manche Themen sind für alle Teenager ähnlich, andere betreffen Frühgeborene spezifisch – etwa, weil sie kleinere körperliche Unterschiede, Lernverzögerungen oder mehr Arztbesuche erlebt haben.

1. Eigene Stärken kennen und anerkennen

  • Erfolge sammeln: Sich bewusst machen, was man trotz schwieriger Startbedingungen geschafft hat (z. B. sportliche Ziele, kreative Projekte, soziale Leistungen).
  • Stärken-Tagebuch führen: Wöchentlich notieren, was gut gelungen ist – auch kleine Dinge zählen.
  • Herkunft als Stärke sehen: Die Geschichte der eigenen Frühgeburt nicht nur als Problem, sondern als Zeichen von Widerstandskraft („Ich bin schon seit meiner Geburt ein Kämpfer“).

2. Realistische, erreichbare Ziele setzen

  • In kleinen Schritten arbeiten, damit Erfolgserlebnisse häufiger vorkommen.
  • Ziele in Bereichen setzen, die Freude machen – nicht nur in den schulischen Fächern, in denen vielleicht Druck besteht.

3. Fähigkeiten trainieren, die Selbstvertrauen fördern

  • Sport oder Bewegung: Teamsport stärkt nicht nur den Körper, sondern auch Zugehörigkeitsgefühl.
  • Kreative Hobbys: Musik, Kunst, Theater – geben Raum für Selbstausdruck und Anerkennung.
  • Soziale Kompetenzen: Kommunikation üben, Freundschaften pflegen, Konflikte konstruktiv lösen.

4. Sich mit Unterstützern umgeben

  • Freund:innen und Erwachsene suchen, die ermutigen und an einen glauben.
  • Austausch mit anderen frühgeborenen Jugendlichen (Selbsthilfegruppen, Online-Foren des Bundesverbandes) – dort erlebt man: „Ich bin nicht allein“.

5. Eigene Geschichte positiv kommunizieren

  • Eine selbstbewusste „Kurzversion“ der eigenen Frühgeburtsgeschichte entwickeln – so, dass man nicht nur über Probleme spricht, sondern auch über Entwicklung und Erfolge.
  • Mit Eltern oder Mentor:innen besprechen, wie man auf neugierige oder unpassende Fragen reagieren kann.

6. Umgang mit Herausforderungen lernen

  • Selbstmitgefühl üben: Fehler und Rückschläge akzeptieren, ohne sich abzuwerten.
  • Strategien gegen Vergleichsdruck entwickeln – z. B. Social Media bewusst nutzen.
  • Bei anhaltender Unsicherheit oder Selbstzweifeln: psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen.

Extra-Tipp für Eltern:
Selbstbewusstsein wächst, wenn Jugendliche das Gefühl haben, ernst genommen und zu eigenen Entscheidungen befähigt zu werden. Eltern können bewusst Verantwortung übertragen, statt überzuschützen.

 

Tipps zur Förderung der Selbstständigkeit 

Die Selbstständigkeit frühgeborener Jugendlicher lässt sich gezielt fördern, wenn man sowohl ihre individuellen Stärken als auch mögliche Entwicklungsbesonderheiten berücksichtigt. Hier kommen ein paar Tipps: 

1. Realistische Startbedingungen schaffen

  • Individuellen Entwicklungsstand berücksichtigen
    Frühgeborene sind manchmal in einzelnen Bereichen etwas „jünger“ als Gleichaltrige – das ist normal. Erwartungen sollten sich am tatsächlichen Entwicklungsstand orientieren, nicht nur am Geburtsdatum.
  • Überforderung vermeiden
    Kleine Schritte wählen, damit Aufgaben erreichbar sind und positive Erfahrungen überwiegen.

2. Verantwortung schrittweise übertragen

  • Mit einfachen, klar umrissenen Aufgaben starten (z. B. eigene Kleidung auswählen, selbstständig an Arzttermine erinnern).
  • Verantwortung steigern: von Alltagsaufgaben im Haushalt bis zu eigenständigen Projekten (Schulweg allein organisieren, eigenes kleines Budget verwalten).
  • Erfolge anerkennen und auch kleine Fortschritte würdigen.

3. Selbstorganisation trainieren

  • Tools einführen: Kalender, To-Do-Listen, Erinnerungsapps – anfangs gemeinsam nutzen, dann schrittweise abgeben.
  • Routinen etablieren: Feste Strukturen geben Sicherheit, besonders wenn Konzentration oder Planung schwerfallen.
  • Erfolge besprechen und gemeinsam Strategien verbessern.

4. Entscheidungsfreiraum geben

  • Jugendliche an Entscheidungen beteiligen, die sie selbst betreffen (z. B. Freizeitgestaltung, Lernmethoden, Arztwahl).
  • Auch Entscheidungen mit kleinen Risiken zulassen – aus Fehlern lernt man Verantwortung.

5. Selbstvertrauen durch Kompetenz aufbauen

  • Bereiche fördern, in denen das Kind selbstwirksam handeln kann (Sport, kreative Projekte, Technik, Ehrenamt).
  • Erfolge dokumentieren – z. B. in einem „Erfolgstagebuch“ oder über Fotos.

6. Praktische Alltagskompetenzen stärken

  • Selbst kochen, mit Geld umgehen, Termine planen, öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
  • Früh üben: Auch wenn manches länger dauert, lohnt sich der Lernprozess langfristig.

7. Unterstützendes Umfeld nutzen

  • Austausch mit anderen Familien und Jugendlichen, die ähnliche Erfahrungen haben (Selbsthilfegruppen, Online-Foren).
  • Mentoren oder Patenschaften, die als Vorbilder und Coaches fungieren.
  • Bei Bedarf Fachkräfte einbeziehen (z. B. Ergotherapie für Alltagskompetenzen, Sozialpädagog:innen).

Eltern-Tipp:
Überbehütung ist verständlich, kann aber ungewollt Selbstständigkeit hemmen. Besser ist „begleiten statt steuern“ – also Sicherheit bieten, aber den Handlungsspielraum wachsen lassen.

Selbsthilfe und Unterstützung

Entwicklungsverzögerungen, anhaltende gesundheitliche Einschränkungen oder ein sensibles Selbstbild können für Frühgeborene in der Pubertät sehr belastend sein. Umso wichtiger sind gezielte Selbsthilfestrategien und ein stabiles, unterstützendes Netzwerk aus Familie, Freunden, Fachkräften und Gleichgesinnten. Austausch in Selbsthilfegruppen, individuelle Förderung und ein offenes Gesprächsklima helfen dabei, Selbstvertrauen aufzubauen, eigene Stärken zu erkennen und mit den spezifischen Bedürfnissen souverän umzugehen. So können Frühgeborene auch in dieser prägenden Zeit gesunde Wege finden, um sich selbst zu verstehen und ihren Platz in der Gesellschaft zu festigen. 

Wir haben hier ein paar Ideen zusammengestellt, wie Ihre Kinder lernen, sich selbst zu helfen, aber auch, wie Sie als Eltern Ihrem Nachwuchs unterstützend zur Seite stehen können. 

Der Arbeitskreis “Erwachsene Frühgeborene”

Der Arbeitskreis Erwachsene Frühgeborene (kurz: AKEF) ist ein loser Zusammenschluss erwachsener Personen, die einstmals zu früh geboren wurden und sich mit ihren diesbezüglichen Fragen an unseren Verband gewandt haben. 

Diesem Personenkreis bietet unser Verband regelmäßig stattfindende Online-Treffen an. Im geschützten Rahmen findet ein vertrauensvoller Austausch zu den verschiedensten Herausforderungen in Alltag und Beruf, im Familien-, Kollegen- und Freundeskreis statt. Daraus konnte bereits eine hilfreiche Wissenssammlung für alle Betroffenen entstehen. Diese ist den Teilnehmenden des Arbeitskreises im passwortgeschützten Infoboard zugänglich und wird von einem ehrenamtlichen Redaktionsteam stets aktuell gehalten. 

Neben dem Erfahrungsaustausch ist es Betroffenen ein großes Anliegen, Verständnis für ihre speziellen Belange in ihrem Umfeld, aber auch in der Gesellschaft zu generieren, sich gegenseitig zu stärken und gemeinsam mit unserem Verband aktiv Lösungsmöglichkeiten für vorhandene Herausforderungen zu erarbeiten. Hierbei können erwachsene Frühgeborene auf unseren Verband und sein Netzwerk zählen.

Sie sind Elternteil eines Frühgeborenen in der Pubertät? Dann erzählen Sie Ihrem Kind doch vom AKEF! 

Hier kann man sich anmelden und unverbindlich bei einem Online-Treffen vorbeischauen: 

https://www.fruehgeborene.de/familie/erwachsene-fruehgeborene.htm

 

 

Weiterführende Informationen

Hier finden Sie in Kürze Informationen zu unserem Verbandsmagazin mit Schwerpunkt “Frühgeborene in der Pubertät”.